Ende Juni 2018 hat der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius den Bericht über die Tätigkeit der
Härtefallkommission des Landes Niedersachsen 2018 vorgestellt. Niedersachsen hat im Jahr 2006 eine solche Kommission eingerichtet. Wie die
Vorsitzende der Kommission Anke Breusing im Vorwort des aktuellen Berichts betont, hat „sich die Härtefallkommission in den vergangenen Jahren als bedeutendes Instrument bei der
Aufenthaltsgewährung in besonders gelagerten Einzelfällen etabliert und bewährt“.
In Niedersachsen funktioniert die Arbeit der Härtefallkommission im Bundesländervergleich tatsächlich gut. In vielen Fällen können einzelfallbezogene aufenthaltsrechtliche Lösungen gefunden
werden. 2018 hat die Kommission laut dem Bericht 220 Eingaben beraten und in 136 Fällen daraufhin ein Härtefallersuchen gestellt. In 123 dieser Fälle ist das Ministerium für Inneres und Sport
der Empfehlung der Kommission gefolgt und hat schließlich die Anordnung getroffen, eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. In 12 Fällen ist das Ministerium der Empfehlung der Kommission nicht
gefolgt, eine Entscheidung brauchte nicht mehr umgesetzt zu werden, da den betroffenen Personen anderweitig ein Abschiebeschutz zugesprochen wurde.
Kritik gibt es im Detail: Die Fälle, in denen das Ministerium dem Votum der Härtefallkommission nicht folgt, sorgen beispielsweise immer wieder für Diskussionen innerhalb der Kommission, aber
auch bei den Petent_innen und Unterstützer_innen. So hatte die Mitgliederversammlung des Flüchtlingsrats Niedersachsen dieses Thema mit Innenminister Pistorius im Juni 2017 bereits intensiv diskutiert. Den betroffenen
Einzelpersonen und Familien sind solche Entscheidungen kaum zu vermitteln. Ein weiterer Kritikpunkt richtet sich gegen die Auflage zur Sicherung des Lebensunterhalts, die von Seiten des
Innenministeriums oftmals an die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis geknüpft wird: In etlichen Fällen schaffen es die Betroffenen aufgrund ihrer besonderen Lebenslage nicht, diese
Auflage (vollständig) zu erfüllen, und verlieren ihr Bleiberecht aus diesem Grund wieder.
Von den positiven Entscheidungen im Jahr 2018 konnten insgesamt 292 Personen profitieren, darunter 120 Kinder und Jugendliche, was einen Anteil von 41,1 % ausmacht. Diese große Zahl an
Minderjährigen verdeutlicht den humanitären Charakter der wichtigen Kommissionarbeit. Die Kinder und Jugendlichen entscheiden nicht allein, sondern sind davon abhängig, welche
Lebensentscheidungen ihre Eltern treffen. Leben die Kinder und Jugendlichen seit vielen Jahren in Deutschland, sind sie nur hier verwurzelt, und eine neue Entwurzelung würde eine besondere
Härte in sich bergen.
Der Jahresbericht liefert auch wichtige Hintergrundinformationen: Für alle mit den Verfahren befassten Personen, Petent_innen und Unterstützer_innen bietet das erste Kapitel einen guten
Überblick über den Ablauf des Verfahrens. Statistische Übersichten bieten daneben einen Einblick in die Aufteilung der Eingaben nach Herkunftsländern sowie die regionale Verteilung der
Eingaben im Hinblick auf den Wohnort der betreffenden Personen. Dabei ist auffallend, dass es im Landkreis Holzminden, in den Städten Wolfsburg, Emden, Wilhelmshaven und Cuxhaven sowie in den
Landkreisen Osterholz und Lüchow-Dannenberg 2018 kaum Eingaben an die Härtefallkommission gegeben hat.
Weiterhin bietet eine statistische Übersicht einen Einblick in die Arbeit der Kommission in den Jahren seit 2013 im Vergleich. 2013 hatte die damalige neu angetretene rot-grüne
Landesregierung durch eine Reform der Härtefallkommission den Entscheidungsspielraum der Kommission deutlich erweitert. Innenminister Pistorius sprach damals von einem „Meilenstein niedersächsischer Flüchtlingspolitik„. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen begrüßt diesbezüglich das weiterhin klare Bekenntnis des Ministers
zur gelungenen Arbeit der Kommission.
Bericht als pdf
Rechtliche Grundlage der Härtefallkommission
Die Rechtsgrundlage für die Einrichtung einer Härtefallkommission und die Aufenthaltsgewährung in Härtefällen bildet § 23 a des Aufenthaltsgesetzes
(AufenthG):
§ 23 a Abs. 1 Aufenthaltsgewährung in Härtefällen
1 Die oberste Landesbehörde darf anordnen, dass einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von den in diesem Gesetz festgelegten
Erteilungsund Verlängerungsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, wenn eine von der Landesregierung durch Rechtsverordnung eingerichtete
Härtefallkommission darum ersucht (Härtefallersuchen).
2 Die Anordnung kann im Einzelfall unter Berücksichtigung des Umstandes erfolgen, ob der Lebensunterhalt des Ausländers gesichert ist oder eine
Verpflichtungserklärung nach § 68 abgegeben wird.
3 Die Annahme eines Härtefalls ist in der Regel ausgeschlossen, wenn der Ausländer Straftaten von erheblichem Gewicht begangen hat.
4 Die Befugnis zur Aufenthaltsgewährung steht ausschließlich im öffentlichen Interesse und begründet keine eigenen Rechte des Ausländers.
§ 23 a Abs. 2 Einrichtung einer Härtefallkommission
1 Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung eine Härtefallkommission nach Absatz 1 einzurichten, das Verfahren, Ausschlussgründe und
qualifizierte Anforderungen an eine Verpflichtungserklärung nach Absatz 1 Satz 2 einschließlich vom Verpflichtungsgeber zu erfüllender Voraussetzungen zu bestimmen sowie die Anordnungsbefugnis
nach Absatz 1 Satz 1 auf andere Stellen zu übertragen.
2 Die Härtefallkommissionen werden ausschließlich im Wege der Selbstbefassung tätig.
3 Dritte können nicht verlangen, dass eine Härtefallkommission sich mit einem bestimmten Einzelfall befasst oder eine bestimmte Entscheidung trifft.
4 Die Entscheidung für ein Härtefallersuchen setzt voraus, dass nach den Feststellungen der Härtefallkommission dringende humanitäre oder persönliche Gründe die
weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordern.
Wie aus § 23 a Abs. 1 Satz 4 und Abs. 2 Satz 2 und 3 AufenthG hervorgeht, gibt es kein Recht zur Antragstellung. Aus diesem Grund ist in der Niedersächsischen
Härtefallkommissionsverordnung (NHärteKVO) nicht von einem „Antrag“, sondern von einer „Eingabe“ die Rede, die an die Kommission gerichtet werden kann. Die Härtefallkommission
wird ausschließlich im Wege der Selbstbefassung tätig. Das bedeutet, dass die Kommission selbst entscheiden kann, ob sie eine Härtefalleingabe zur Beratung annimmt und sich in einem
Härtefallverfahren damit befasst. Wird ein Härtefallverfahren durchgeführt und die Eingabe dann von der Härtefallkommission zugunsten der betreffenden Person oder Familie entschieden, richtet die
Kommission ein „Härtefallersuchen“ an den Innenminister (§ 23 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG) mit der Bitte, eine Aufenthaltserlaubnis aus Härtefallgründen zu erteilen. Der Innenminister entscheidet
über das Härtefallersuchen. Stimmt er zu, ordnet er die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 a Abs. 1 AufenthG an. Das Härtefallverfahren ist eine im Aufenthaltsgesetz verankerte, aber
nicht justiziable Sonderregelung. Es wurde für besondere Fälle geschaffen, wenn ein Aufenthaltsrecht nach den rechtlichen Vorschriften nicht gewährt werden kann, aber aus
dringenden humanitären oder persönlichen Gründen dennoch gewährt werden soll. Aus § 23 a Abs. 1 Satz 4 und Abs. 2 Satz 2 und 3 AufenthG ergibt sich, dass gegen Entscheidungen im
Härtefallverfahren keine Rechtsmittel eingelegt werden können. Widerspruch oder Klage gegen eine ablehnende Entscheidung sind nicht möglich. Deshalb ist es
unerlässlich, der Härtefallkommission rechtzeitig alle für eine Härtefallentscheidung relevanten Gründe ausführlich, detailliert und anschaulich vorzutragen.
Wann ist eine Härtefalleingabe möglich?
Die Härtefallkommission kann nach § 23 a Abs. 1 AufenthG nur dann tätig werden und sich mit einer Härtefalleingabe von AusländerInnen befassen, wenn diese bereits
vollziehbar ausreisepflichtig sind. Eine vollziehbare Ausreisepflicht liegt dann vor, wenn ein Asylverfahren unanfechtbar negativ abgeschlossen ist, ein Aufenthaltstitel nicht erteilt, nicht
verlängert oder widerrufen wurde und kein gerichtlicher Rechtsschutz besteht. Im Regelfall geht es um die Situation geduldeter Flüchtlinge. Eine Duldung wird erteilt, wenn trotz bestehender
Ausreisepflicht eine Aufenthaltsbeendigung noch nicht vollzogen werden kann, weil aufenthaltsbeendende Maßnahmen noch nicht ergriffen wurden oder tatsächliche oder rechtliche
Abschiebungshindernisse entgegenstehen. Eine Duldung ist kein Aufenthaltstitel und begründet deshalb keinen rechtmäßigen Aufenthaltsstatus. Entfällt das Abschiebungshindernis, kann der Aufenthalt
ohne weiteres beendet werden. Neben den Fällen geduldeter Flüchtlinge kann es auch Härtefälle bei AusländerInnen geben, die aus anderen Gründen kein Aufenthaltsrecht haben (z.B. Verlust der
Aufenthaltserlaubnis nach familiärer Trennung) oder eine Aufenthaltserlaubnis wegen eines Erteilungsverbotes nach § 10 Abs. 3 Satz 2 oder § 11 Abs. 1 AufenthG nicht erhalten können. In der Praxis
mancher Ausländerbehörden kommt es vor, dass ausreisepflichtige AusländerInnen statt einer Duldung eine Grenzübertrittsbescheinigung bekommen oder auch gar keine Bescheinigung mehr haben. Solange
ihr Aufenthaltsort den Behörden bekannt ist und sie nicht als untergetaucht gelten, ist eine Härtefalleingabe an die Härtefallkommission möglich. Zu Personen, die in einer Kirchengemeinde Schutz
gefunden und ins Kirchenasyl aufgenommen wurden, hat die Landesregierung in der Begründung zur Änderung der Härtefallkommissionsverordnung klargestellt, dass diese nicht als untergetaucht gelten,
sofern die Ausländerbehörde über den Aufenthaltsort informiert ist („offenes Kirchenasyl“).
DAS STICHWORT: HÄRTEFALLKOMMISSION
Die Innenminister der Länder können nach dem seit 2005 geltenden Zuwanderungsrecht Härtefallkommissionen für Flüchtlinge berufen. Diese beraten darüber, ob abgelehnten Asylbewerbern oder
ausreisepflichtigen Flüchtlingsfamilien in Einzelfällen aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen dennoch ein Aufenthaltsrecht in Deutschland gewährt werden sollte. Spricht sich
die Kommission in einem „Ersuchen“ an das Innenministerium für ein Bleiberecht aus, kann das Ministerium den Aufenthalt genehmigen lassen.
Die Bundesländer können frei entscheiden, wen sie in eine solche Kommission berufen. Fast überall sind die Kirchen vertreten. Auch Flüchtlingsorganisationen, Kommunen, Wohlfahrtsverbände und
Integrationsbeauftragte gehören häufig dazu.
Unterschiedlich sind auch die Regeln: So sind Menschen, die sich gar nicht in Deutschland aufhalten, deren Asylverfahren noch nicht endgültig beendet ist, die schwere Straftaten zu
verantworten haben oder als „Hassprediger“ ausgewiesen werden, in der Regel von der Härtefallregelung ausgeschlossen.
In Niedersachsen besteht seit 2006 eine Härtefallkommission. Sie besteht aus neun Mitgliedern und deren Vertretern, die vom Ministerium für Inneres und Sport berufen werden.
Quelle: Evangelischer Pressedienst