Flüchtlingsrat: Gleichberechtigte Teilhabe statt diskriminierender Bezahlkarte

Am Mittwoch hat der Innenausschuss über ein sogenanntes Omnibusverfahren Änderungen am Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) und damit der bundesrechtlichen Absicherung zur Einführung einer Bezahlkarte für Asylsuchende zugestimmt. Mit dieser Karte sollen Asylsuchende künftig ihren monatlichen persönlichen Bedarf decken. Nach Aussagen der Bundesregierung sollen die Kommunen dadurch „von Bürokratie entlastet“ werden. Offenkundig geht es bei der Bezahlkarte aber nicht um Bürokratieabbau, sondern um Diskriminierung – leider auch in Niedersachsen:

Mit Unverständnis reagiert der Flüchtlingsrat Niedersachsen auf die Pläne der Landesregierung, im Rahmen der Einführung einer Bezahlkarte Bargeldzahlungen an Geflüchtete zu beschränken und ihnen Überweisungen zu verbieten. Der Flüchtlingsrat fordert die Landesregierung auf, die Bezahlkarte nicht als Instrument zur Diskriminierung von Geflüchteten einzusetzen, und erinnert die rot-grüne Koalition an ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, Diskriminierungen zu beseitigen.

Konkret fordert der Flüchtlingsrat Niedersachsen, dass die Landesregierung sich ein Beispiel an der „Socialcard“ in der Landeshauptstadt Hannover nimmt und die Bezahlkarte diskriminierungsfrei ausgestaltet. Darüber hinaus fordert der Flüchtlingsrat, dass das Land Niedersachsen anderen Bundesländern (wie z.B. Schleswig-Holstein) folgt und auch für Geflüchtete landesweit eine Gesundheitskarte einführt. Es mutet absurd an, wenn einerseits die Leistungen zum Lebensunterhalt ausschließlich digital erbracht werden, während andererseits für Besuche bei Ärzt:innen weiterhin ein Papierkrankenschein erforderlich ist, der beim Sozialamt abgeholt werden muss. Dies ist auch vor dem Hintergrund geboten, dass die Einführung der Bezahlkarte den bürokratischen Aufwand der Sozialämter verringern soll.

Leider gehen die aktuellen Planungen jedoch in eine andere Richtung: Da die hannoversche Socialcard auch Überweisungen zulässt, könne sie, so heißt es jetzt aus dem Innenministerium, nach der niedersachsenweiten Einführung der Bezahlkarte keinen Bestand mehr haben. Mit der Bezahlkarte sollen weder Inlands- noch Auslandsüberweisungen möglich sein. (Debit-Karte ohne Überweisungsmöglichkeit). Eine Gesundheitskarte, deren Einführung die Landesregierung laut Koalitionsvertrag eigentlich prüfen wollte, sei dagegen nicht in Planung.

Ein Bankkonto können sich alle Asylsuchenden zwar auch weiterhin selbst zulegen, aber die Sozialleistung wird nach den aktuellen Planungen der Landesregierung für Grundleistungsempfänger:innen (immer und ausschließlich) auf die Bezahlkarte überwiesen. Von den Leistungen kann nur ein eingeschränkter Betrag in bar abgehoben werden. Der verfügbare Barbetrag soll in den Erstaufnahmeeeinrichtungen (EAEs) und in den Kommunen gleich hoch sein. Da in der Erstaufnahmeeinrichtung viele Leistungen als Sachleistungen erbracht werden, soll der über die Karte bereitgestellte Betrag für unbare Leistungen dort dann geringer sein.

Der Ausschluss jeglicher Überweisungsmöglichkeit läuft auf eine erhebliche Behinderung, wenn nicht Verhinderung einer Rechtsvertretung hinaus: Anwaltskanzleien müssten sich nicht nur ein Lesegerät anschaffen, sondern auch z.B. bei Ratenzahlungen ihre Mandant:innen monatlich persönlich empfangen, um die Bezahlkarte einzulesen und den Ratenbetrag abzubuchen. Anwaltskanzleien, die oft mehrere hundert Mandant:innen haben, werden dies nicht leisten können. Für die Betroffenen bedeutet dies zusätzliche Kosten für Reisen, eine anwaltliche Vertretung könnte nur noch regional gesucht werden. Dies ist schon im Asylverfahren kaum zu realisieren, da erfahrene Asylanwält:innen in bestimmten Regionen einfach nicht zu finden sind. Gleiches gilt für Anwält:innen im Sozialrecht.

Wenn es bei den bisherigen Planungen bleibt, werden die Betroffenen auf nicht hinnehmbare Weise aus dem gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt: Auch Sport- und andere gemeinnützige Vereine werden sich keine Lesegeräte für Bezahlkarten anschaffen, um Vereinsmitgliedschaften zu ermöglichen und dann monatlich persönlich die Beiträge in Empfang zu nehmen. Für etliche kleine Läden lohnt sich die Anschaffung eines Lesegeräts nicht, gerade in ländlichen Kommunen dürfte es schwierig werden. Eine Nutzung von Online- und Gebrauchtwarenbörsen und alle Bestellungen im Internet wären unmöglich. Bislang sind wir davon ausgegangen, dass es in Niedersachsen sowohl die Möglichkeit gibt, Überweisungen im Inland zu tätigen, als auch die gewährte Leistung von der Bezahlkarte abzuheben. Die Verhinderung jeglicher Zahlungen durch Überweisungen und Lastschriften ist rechtlich nicht vorgeschrieben und wäre aus Sicht des Flüchtlingsrats ausgrenzend und diskriminierend.

Die Leistungen nach dem AsylbLG betragen 460 € monatlich für Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Haushalt, Haushaltsenergie sowie Leistungen für die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens (Anteil: 204 € von 460 €).  Es spricht schon Bände, dass die Politik sich nun schon seit Monaten darum streitet, wie man Geflüchteten ihre ohnehin geringen Leistungen weiter reglementieren und beschränken kann: Wie armselig und schäbig ist das? Nach Aussagen nahezu aller Fachleute wird die Einführung einer Bezahlkarte ohne Überweisungsfunktion und mit eingeschränkter Bargeldfunktion negative Auswirkungen auf die Integration und Teilhabe der Geflüchteten haben, zusätzliche Kosten mit sich bringen und ihr eigentliches Ziel, die Reduzierung der Fluchtmigration, verfehlen [siehe hierzu etwa die Stellungnahme von Prof. Herbert Brückner zur Bezahlkarte]. Offenkundig zielt die Einführung der Bezahlkarte vor allem auf die Innenpolitik: Sie signalisiert, man setze Schutzsuchenden in Deutschland Schranken und behandele sie schlechter als Einheimische. Mit solchen wohlstandschauvinistischen Bestrebungen nährt und befördert die Politik am Ende nur das Geschäft der organisierten Rechtsextremisten.

Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem wegweisenden Urteil vom 18.07.2012 festgestellt, dass das Existenzminimum „migrationspolitisch nicht zu relativieren“ sei. Nun droht mit der Bezahlkarte aber genau das: Aus migrationspolitischen Erwägungen wird die Verfügbarkeit über die Leistungen eingeschränkt. Faktisch wird das Leben für Geflüchtete teurer werden. Schon die im Dezember 2023 beschlossene Verlängerung des Zeitraums, in dem Asylsuchende eingeschränkte Leistungen erhalten, von 18 auf 36 Monaten war offenkundig verfassungswidrig (siehe  Gutachten des Gesetzes- und Beratungsdienstes des Bundestags).

 

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Kai Weber (er/ihn) - Geschäftsführer
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V., Röpkestr. 12, 30173 Hannover - Durchwahl: 0511 - 84 87 99 72 - Tel.: 0511/98 24 60 30
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Statt Bargeld sollen Asylbewerber künftig Bezahlkarten erhalten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Doch die Konzepte dafür unterscheiden sich deutschlandweit zum Teil erheblich. In einigen Kommunen werden solche Karten bereits getestet.

Von Michael Grau

Montag, 08.04.2024

Bevor er zur Supermarkt-Kasse geht, kramt Basel Al Refaee erst einmal einen Zettel aus der Jackentasche und checkt die Geheimnummer. Sicher ist sicher, es soll nichts schiefgehen mit seiner neuen „Social Card“ für Asylbewerber in Hannover. Dann packt der 29-jährige Syrer die Lebensmittel auf das Laufband: Tiefkühlpizza, Milch, Kaffee, Apfelsinen. Er schiebt die Prepaid-Karte ins Lesegerät, tippt die vier PIN-Ziffern ein. Es piept, es surrt, ein Kassenzettel – fertig. „Mit der Karte kann ich fast alles kaufen“, erzählt Al Refaee. Nur bei Bahntickets bereite sie manchmal Probleme.

Seit Wochen wird in ganz Deutschland heiß darüber diskutiert, ob und in welcher Form künftig Bezahlkarten wie diese an Asylsuchende ausgegeben werden sollen, statt ihnen Bargeld zu geben. Anfang April einigten sich die Bundestagsfraktionen von SPD, Grünen und FDP auf eine Gesetzesänderung zur Einführung einer solchen Karte. Details werden auf Länderebene beschlossen. Viele Politiker verbinden mit dem Projekt auch die Hoffnung, dass Flüchtlinge künftig kaum noch Geld aus staatlicher Unterstützung an Angehörige in ihren Herkunftsländern oder an Schlepper schicken können.

Geldkarten in Hannover schon seit Dezember

Basel Al Refaee kauft schon seit drei Monaten mit der Karte ein, denn Hannover hat sie bereits im Dezember eingeführt. Zusammen mit den Landkreisen Eichsfeld und Greiz in Thüringen gehört die Stadt zu den ersten Kommunen, die das neue System erproben. „Wir verfolgen das Ziel, geflüchteten Menschen einen diskriminierungsfreien Zugang zu bargeldloser Bezahlung zu ermöglichen“, sagt Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne). Inzwischen testen auch Hamburg und Magdeburg sowie Landkreise in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen eigene Karten-Systeme.

Ausgegeben werden die Karten an Asylbewerber oder an Menschen mit einer Duldung, die noch kein eigenes Bankkonto haben. Die Behörden überweisen dann die ihnen zustehenden Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz an Banken, die damit die Karten aufladen. Das sind bei alleinstehenden Erwachsenen zurzeit 460 Euro im Monat. Wer in einer Gemeinschaftsunterkunft lebt wie Basel Al Refaee, bekommt 413 Euro.

Im Supermarkt hat Al Refaee heute 34,51 Euro ausgegeben. „Das reicht wieder für ein paar Tage“, sagt er, schiebt den Einkaufswagen zurück und schnappt sich die Tasche, in der er die Lebensmittel verstaut hat. Am Abend wird er in der Unterkunft mit anderen wieder etwas Leckeres kochen. Über sein Geld kann der Syrer mit der „Social Card“ weitgehend frei verfügen, solange sein Konto gedeckt ist. Bundesweit kann er damit überall dort zahlen, wo Kreditkarten akzeptiert werden: im Jeansladen ebenso wie im Restaurant. Und an jedem Geldautomaten kann er Bargeld abheben.

Große Unterschieden zwischen Kartensystemen

Das ist nicht in jeder Kommune so. Denn zwischen den Karten-Systemen gibt es zum Teil erhebliche Unterschiede. So ist die Bargeld-Auszahlung beim bayerischen Modellversuch sowie in Magdeburg auf 50 Euro begrenzt. Hier kann die Karte auch nur in bestimmten Postleitzahl-Gebieten eingesetzt werden.

Solche Einschränkungen rufen die Kritik der Flüchtlingsräte auf den Plan. Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen etwa sieht die Freizügigkeit der Geflüchteten in Gefahr, wenn die Karte nur in einem einzigen Landkreis genutzt werden kann. Es sei ein Rückschritt, wenn durch die Hintertür wieder die sogenannte Residenzpflicht eingeführt werde. Auch Einschränkungen beim Bargeld hält Weber für problematisch: „Es gibt eine Fülle von ganz praktischen Situationen, in denen Bargeld gebraucht wird, sei es beim Kopiergeld für die Kinder in der Schule oder auf dem Flohmarkt.“

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So verschieden wie die einzelnen Karten-Systeme sind auch die Motivationen der Kommunen und Landkreise. In Hannover will die Stadt in erster Linie die Verwaltung vereinfachen. Hier wurden bereits rund 240 Karten ausgegeben. Dadurch seien bereits sechs Mitarbeiter von Verwaltungsaufgaben entlastet worden, berichtet Oberbürgermeister Onay.

„Es hat alles seine positiven und negativen Seiten“

Im thüringischen Landkreis Eichsfeld hingegen geht es vor allem darum, Geflüchtete in Arbeit zu bringen. „Das Leben in Deutschland geht nur über Arbeit“, betont Landrat Werner Henning (CDU). Und wer sich selbst eine Arbeit suche, entlaste den Staat. Henning hat sich deshalb ein Bonus-System überlegt: Dabei fließen 55 Prozent der Sozialleistungen auf die Karte, die hier „Sachleistungskarte“ heißt. Die restlichen 45 Prozent, das sind 204 Euro, werden in bar ausgezahlt. Wer aber selbst etwas hinzuverdient, bekommt alles in bar. Das Echo sei positiv, sagt Henning. Allerdings seien rund 35 Personen daraufhin zurück nach Nordmazedonien gereist.

Basel Al Refaee findet es gut, Bargeld zu haben, weil er damit flexibel ist. Andererseits muss er jetzt mit der „Social Card“ nicht immer Schlange stehen wie früher bei der Geldausgabe. „Es hat alles seine positiven und negativen Seiten“, sagt er. Irritiert ist er über die Diskussion über Geldtransfers in die Herkunftsländer: „Was ist so schlimm daran, wenn man alle sechs Monate einen kleinen Betrag nach Hause schickt, wenn die Familie in Not ist?“

Solche Transfers machten aber ohnehin nur diejenigen, die schon eine Arbeit hätten, erzählt er. Und arbeiten, das will auch er so bald wie möglich. Ein Job im Restaurant, das kann er sich fürs Erste gut vorstellen. (epd/mig)                                                                                                                   © Migazin