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Das bewegt uns alle - Statement des Spiegel zum Umgang mit der AFD

Die Schwierigkeit der Medien:

Wie umgehen mit der Gefahr von rechts?

 

Von SPIEGEL-Chefredakteur Dirk Kurbjuweit

Die AfD stellt eine Redaktion vor einige Dilemmata. Wir sind uns nicht immer einig, wie wir darauf reagieren sollen. Wir sind uns aber einig, dass alles schlechter würde, käme sie an die Macht.

17.07.2025,aus DER SPIEGEL 30/2025

Manchmal sagen mir Leserinnen oder Leser, der SPIEGEL solle nicht so viel über die AfD und deren Anliegen berichten. Wir würden sie damit nach vorn schreiben, ihnen Wähler gleichsam in die Arme treiben. Es gebe auch andere Themen, interessantere. Lasst euch nicht verrückt machen von der AfD, macht uns nicht verrückt mit der AfD, wird mir geraten.

Eine ähnliche Diskussion führen wir auch in der Redaktion. Worüber sollen wir berichten, worüber nicht? Wir reden viel über den angemessenen Umgang mit der AfD, auch weil das Phänomen einer wirkmächtigen Partei am äußerst rechten Rand immer noch relativ neu ist. Erst seit knapp zehn Jahren spielt sie eine Rolle in der Bundespolitik, holte zunächst zwölf Prozent, dann zehn Prozent der Stimmen bei den Wahlen. Im Februar verdoppelte sie ihr Ergebnis, rangiert zwischen Union und SPD. Die AfD als Regierungspartei ist nicht mehr undenkbar.

Auch für uns ist das eine Herausforderung. Das liegt zum einen daran, wie diese Partei mit uns umgeht. Unsere Redakteurinnen und Redakteure werden auf Parteitagen und im Internet angepöbelt, bedroht, attackiert. Zum anderen stehen wir als Berichterstatter vor Dilemmata, die nicht leicht aufzulösen sind, vielleicht gar nicht.

Nach außen wirkt der SPIEGEL womöglich homogen, wie ein geschlossener Block. Aber so ist es im Inneren nicht. Wir sind eine lebendige Redaktion, wir diskutieren viel, wir streiten, auch über den Umgang mit der AfD. Dieser Text soll Ihnen einen Einblick geben in unser Gespräch über diese Partei, in die Gedanken, die wir uns machen. Das geht unter anderem zurück auf den Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen, der unsere Arbeit regelmäßig im SPIEGEL kritisiert und den Anstoß zu mehr Transparenz gegeben hat.

 

Eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung

Einig sind wir uns, was wir von dieser Partei zu halten haben. Dafür brauchen wir nicht das Gutachten des Verfassungsschutzes oder ein Urteil vom Bundesverfassungsgericht. Seit Jahren sehen und hören wir, was die Funktionäre dieser Partei treiben, welcher Gesinnung sie sind. Viele Spitzenpolitiker der AfD haben kein Geheimnis daraus gemacht, dass sie rassistisch denken, dass sie die Zeit des Nationalsozialismus milde betrachten. Sie wollen, so sieht es aus, die Bundesrepublik in eine illiberale Demokratie umwandeln. Wir sehen in der AfD eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung, wie sie im Grundgesetz postuliert wird, mit der unantastbaren Menschenwürde als Fixpunkt für jede Politik.

Weil die AfD ist, wie sie ist, stellt sie uns vor Fragen, die wir vom Umgang mit anderen Parteien nicht kennen. Die Suche nach Antworten führt manchmal ins Dilemma. Hier kommen drei Beispiele.

Wenn Regierungspolitiker bei uns eine Blattkritik machen, stellen sie uns mitunter diese Frage: Wenn der SPIEGEL die Koalition so heftig kritisiert, spielt er damit nicht der AfD in die Hände? Die Absicht dahinter ist durchsichtig, man möchte uns milder stimmen. Aber damit ist auch ein Dilemma angesprochen, das wir selbst sehen.

Vor den Zeiten der AfD standen nahezu alle Parteien im Bundestag zur liberalen Demokratie, zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, mit ein paar Grenzüberschreitungen hier und dort, zum Beispiel bei der SPIEGEL-Affäre 1962, als die Regierung von Konrad Adenauer (CDU) die Pressefreiheit angriff. Aber in der Regel standen die Parteien der alten Bundesrepublik zum System, und wir haben beobachtet und kommentiert, wie sie sich innerhalb dieses Rahmens verhalten haben.

 

Die AfD positioniert sich außerhalb dieses Rahmens und versucht, »System« als Schimpfwort zu etablieren, in den Koppelungen »Systemparteien« und »Systempresse«. Als wären wir im selben Verein, CDU, CSU, SPD, Grüne, FDP, SPIEGEL, »Zeit«, »Süddeutsche Zeitung«, »Stern« et cetera. Tatsächlich stehen wir zum wunderbaren System der liberalen Demokratie. Die AfD tut es nicht. Das ist eine relativ neue Situation für die Bundesrepublik. Die älteren Parteien und ein großer Teil der Medien haben in gewisser Weise ein gemeinsames Projekt: die liberale Demokratie gegen die Angriffe der AfD verteidigen. Für uns ist das lebenswichtig, weil nur dieses System die Pressefreiheit garantieren wird. Ohne Pressefreiheit ist die Meinungsfreiheit, die Sie als Bürgerinnen und Bürger direkt betrifft, nicht vorstellbar.

Unser Dilemma: Wenn wir die Regierungsparteien oft kritisieren, könnte das die liberale Demokratie schlecht aussehen lassen und auf die Dauer unterminieren. Unser klassischer Auftrag, die Kontrolle der Mächtigen, stünde im Widerspruch zu dem neuen Projekt, die liberale Demokratie zu bewahren. Die angesprochenen Blattkritiker sind offenbar der Meinung, wir sollten das Projekt höher bewerten.

Wir werden nicht milder werden,

nicht bei der Kontrolle der Mächtigen nachlassen.

Als Journalist ist man an Dilemmata gewöhnt. Die Lage ist oft widersprüchlich, selten eindeutig. Auch das macht diesen Beruf so interessant. In unseren Diskussionen waren wir uns einig, dass wir nicht milder werden, nicht bei der Kontrolle der Mächtigen nachlassen. Dabei bleibt es, Sie können sich darauf verlassen.

Einige Kolleginnen und Kollegen monieren jedoch, dass wir zu selten Geschichten vom Gelingen erzählen. Bei allen Defiziten sei die Bundesrepublik immer noch ein Land, in dem es sich im internationalen Vergleich ganz gut leben ließe. Auch unsere Politiker machten manches richtig. Außerdem könnten wir mehr über mögliche Lösungen von Problemen schreiben und reden. Das ist ein guter Vorschlag, finde ich.

Ein zweites Dilemma entspringt der Frage, wie wir als Redaktion mit dem Thema Migration umgehen, das von der AfD ständig auf gehässige Weise angesprochen wird. Einerseits wollen wir selbstverständlich nicht über jedes Stöckchen springen, das man uns hinhält. Andererseits wollen wir über das berichten, was Menschen beschäftigt, über die Probleme, die eine Regierung lösen muss.

In dieser Frage ist unsere Leserschaft gespalten, wie ich Mails oder persönlichen Gesprächen entnehmen kann. Ich werde hart kritisiert, wenn wir uns intensiv mit Problemen aus dem Themenbereich Migration befassen, zum Beispiel mit Gewalttaten einzelner Migranten oder von Clans. Ich werde hart kritisiert, weil wir das angeblich zu wenig tun.

Auch in der Redaktion haben wir dazu ein gemischtes Meinungsbild. Wir sind uns einig, dass die Probleme der Migration nicht so wuchtig sind, wie die AfD sie darstellt. Wir sind uns einig, dass dieses Land Einwanderung braucht, wir sind uns einig, dass der Staat sie regeln und steuern muss. Wir sind uns einig, dass die Menschenwürde bei diesem Thema immer bedacht werden sollte. Wir halten Gedanken an eine »Remigration« von Menschen, die hier legal leben, für unerträglich.

Wie der Staat Zuwanderung steuern sollte – das ist ein Thema, zu dem wir keinen Konsens haben und brauchen. Ich schätze unsere Diskussionen auch dafür, dass in der Suche nach Lösungen ein erster Schritt zu Lösungen gemacht ist. Wir bilden diese Meinungsvielfalt in unseren Berichten, Interviews und Kommentaren ab und sehen darin einen Beitrag zu Ihrer Meinungsbildung.

Auch bei diesem Thema gilt: Wir sollten immer wieder Geschichten vom Gelingen erzählen, von gelungener Integration und wichtigen Beiträgen von Migranten für das Zusammenleben in Deutschland, und das tun wir auch.

 

Das dritte Dilemma, von dem ich hier berichten will, hat einen rechtlichen und politischen Hintergrund. Parteien, die sich aktiv gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung stellen, sind verfassungswidrig, heißt es in Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes. Sie können in unserer wehrhaften Demokratie verboten werden. Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings entschieden, dass der Staat eine Partei nur verbieten darf, wenn sie wirklich eine Gefahr darstellt. Für die rechtsextreme NPD galt das nicht, da sie nicht einmal genügend Wähler anzog.

Die AfD dagegen scheint einflussreich genug, um eine echte Gefahr für die liberale Demokratie zu sein. Aber sollte man eine Partei verbieten, die im Bundestag ein gutes Fünftel der Wählerstimmen repräsentiert, die in fast allen Wahlkreisen in den ostdeutschen Bundesländern die relative Mehrheit gewonnen hat? Wäre das nicht unter demokratischen Gesichtspunkten bedenklich, da sich in Wahlen ein Volkswillen ausdrückt? Die AfD könnte zwar einflussreich genug für ein Verbot sein, politisch aber schon zu stark dafür. Ein klassisches Dilemma. Was tun?

Denken, debattieren, schreiben. In unserer Redaktion sprechen sich die einen für ein Verbotsverfahren aus, die anderen dagegen. Hin und wieder wechselt jemand die Seite, angesichts einer neuen Lage oder neuer Überlegungen. Auch ich schwanke, bin am Ende aber für ein Verbotsverfahren, sollten sich die Antragsteller sicher sein, dass sie genug gerichtsfeste Beweise für die Verfassungswidrigkeit der AfD beisammenhaben. Ich möchte mir nicht eines Tages als Bürger eines autoritären Staates sagen müssen: Wäre die AfD doch damals verboten worden!

Fakten ohne Folgen

Auch in dieser Frage brauchen wir nach außen keine Einheitlichkeit. Es gibt so viele gute Argumente auf beiden Seiten, so viel Für und Wider – diese Vielfalt wollen wir abbilden.

Für uns ist klar, dass wir mit der AfD in einer zentralen Hinsicht umgehen wie mit anderen Parteien. Wir sind hier wie dort ständig auf der Suche nach Fakten: Was wird gesagt, wie wird gehandelt? Als Journalistinnen und Journalisten interessiert uns naturgemäß besonders das, was im Verborgenen bleiben soll, weil es im Widerspruch zu öffentlichen Aussagen steht oder gegen Gesetze und Richtlinien verstößt. Die investigative Recherche ist unser wichtigster Auftrag.

Gerade beim Thema AfD haben wir eine Menge übler Fakten ans Licht geholt. Wir haben über Spendenaffären berichtet, über Kontakte von Parteimitgliedern zu Neonazis und der rechtsextremen »Identitären Bewegung«, über Verbindungen nach Russland und China, bis hin zum Verdacht der Spionage.

Leider ist der Wert von Fakten für einen Teil der Bürger gesunken. Fakten ohne Folgen könnte man dieses Phänomen nennen. Die Wut gegen das, was die AfD abfällig System nennt, macht diese Bürger blind für das, was ist. Blind für den Verstoß gegen Gesetze, Regeln oder gute Sitten, blind für den Skandal. Obwohl die AfD immer wieder Grenzen überschritten hat, steht sie vor den Augen ihrer Anhängerschaft als wählbare Partei da. Das hat viel mit sozialen Netzwerken zu tun, mit Blasen, in denen Verschwörungserzählungen unwidersprochen gedeihen, mit einer teilweisen Abkehr von Wissenschaft und Faktizität.

 

Wir beobachten diesen Trend mit Sorge, lassen uns aber nicht frustrieren und geben in unserer Suche nach Fakten keinen Deut nach, auch weil wir wissen, dass Sie, als unsere Leserinnen und Leser, genau das von uns erwarten: Recherche, Recherche, Recherche. Und manchmal, zum Glück, haben Fakten Folgen, siehe das Urteil in Frankreich gegen die rechtsradikale Politikerin Marine Le Pen, deren Partei EU-Parlamentsgelder veruntreut hat. Nun darf sie sich fünf Jahre lang um kein politisches Amt bewerben. Gut so.

Während wir über Fakten zur AfD nüchtern berichten sollten, können unsere Leitartikel und Kommentare selbstverständlich zuspitzen und harte Urteile fällen. Manchmal höre oder lese ich dazu den Vorwurf, dass wir hier einen anderen Ton anschlagen würden als bei anderen Parteien. Für mich kann ich dazu sagen: Klar, denn keine andere im Bundestag vertretene Partei möchte die liberale Demokratie abschaffen, liebäugelt mit dem Autoritären. Es gilt aber auch: Schaum vor dem Mund lässt Argumente schwächer wirken.

Die Frage der Fakten bestimmt auch unsere Haltung zu Interviews mit Spitzenpolitikern der AfD. Wir führen sie nicht, weil wir wissen, dass wir mit Un- und Halbwahrheiten rechnen müssen, manchmal mit Unwahrheiten, die wir nicht sofort in der Gesprächssituation entlarven können. Würden diese Politiker im Autorisierungsprozess auf den Unwahrheiten bestehen, würden sie unwidersprochen im SPIEGEL erscheinen und wie Fakten wirken. Das wollen wir nicht.

In einer lebendigen Redaktion wie der unseren höre ich auch dazu eine andere Meinung. Kollegen haben darauf hingewiesen, dass wir ein Gespräch mit dem syrischen Diktator Baschar al-Assad oder dem sowjetischen Machthaber Leonid Breschnew gedruckt haben. Warum dann nicht Alice Weidel oder Björn Höcke interviewen? Auch ein gutes Argument.

Woher kommt die Zustimmung?

Es bleibt bei unserer Strategie, aber wir werden sie hin und wieder überprüfen. Und natürlich reden wir bei unseren Recherchen ständig mit Politikern der AfD. Ihre Aussagen fließen, kontextualisiert von unseren Redakteurinnen und unseren Factcheckern, in unsere Texte ein.

Was uns permanent umtreibt, ist die Frage, warum die AfD so viel Zustimmung findet. Uns ist klar, dass nicht alle Wählerinnen und Wähler eine rechtsextreme Gesinnung pflegen, dass viele diese Abgründe in Kauf nehmen, weil sie das Gefühl haben, die anderen Parteien würden ihre Probleme nicht ernst nehmen oder könnten dafür keine Lösungen anbieten. Wir haben uns vorgenommen, noch stärker als bisher auf diese Menschen zu schauen, ihre Lebenswelten aufzusuchen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Und wir wollen aufzeigen, welche Lösungen es geben könnte, Lösungen, die nicht von Rassismus dominiert sind.

Wir können nicht sagen, dass wir schon alles ergründet haben, was die AfD vor allem in den ostdeutschen Bundesländern so stark gemacht hat. Uns ist klar, dass viele Menschen dort eine Lebenswelt verloren haben und sich mitunter schwertun, die neue Lebenswelt anzunehmen, auch weil sie sich in ihren Biografien und Problemen nicht ernst genommen fühlen. Wir haben Kolleginnen und Kollegen in Dresden und Leipzig, in Berlin und in unserer Hamburger Zentrale, die sich bestens im Osten auskennen. Gleichwohl sind wir ein westlich geprägtes Haus, das sein Bewusstsein dafür schärfen muss, ostdeutsche Eigenarten ständig im Blick zu behalten.

Journalisten, keine Kombattanten

Wir haben auch darüber diskutiert, ob es ein Auftrag des SPIEGEL ist, die AfD zu bekämpfen. Ich würde das nicht so nennen. Wir sind Journalisten, keine Kombattanten. Als Journalisten zeichnet uns eine große Neugier aus, dazu ein scharfer Blick für Machtmissbrauch, für Verstöße gegen Recht und Gesetz, insbesondere gegen das Grundgesetz und damit die freiheitliche demokratische Grundordnung.

Wir recherchieren, wir dokumentieren, wir analysieren, wir kommentieren. Das nenne ich Aufklärung, nicht Kampf. Sollte es so sein, dass unsere Beiträge dazu verhelfen, die Anziehungskraft der AfD sinken oder nicht weiter steigen zu lassen, würde ich das begrüßen. Vielleicht kommt sogar der eine oder andere AfD-Politiker zur Besinnung, wenn man ihm oft genug den Spiegel vorhält. Meine Hoffnung ist allerdings nicht groß.

Die AfD ist für uns ein großes Thema, weil sie eine große Gefahr darstellt. Würde sie das Land regieren, wäre dies ein anderes Land, für sehr viele Menschen ein schlechteres. Deshalb werden wir weiterhin viel über diese Partei und ihre Umtriebe berichten. Das heißt aber nicht, dass wir andere Themen vernachlässigen. Wir wissen, dass eine Menge unserer Leserinnen und Leser andere Probleme sehen als Migration, dass sie sich eher für den Krieg in der Ukraine interessieren, für den Klimawandel, für den Nahen Osten, für Schwächen des Gesundheitssystems oder der Deutschen Bahn, für Sport, Kultur, Wissenschaft, dass sie Geschichten lesen wollen, aus denen sie für ihr Leben lernen können. Deshalb ist die AfD für uns ein wichtiges Thema, aber nur eins unter vielen.

 (© Der Spiegel - Kopie nicht erlaubt Abdruckgenehmigung angefragt)

 

 

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