Niedersachsen schiebt russische Familie aus Kirchenasyl ab
Jahrzehntelang haben die staatlichen Behörden das Kirchenasyl geachtet. Seit einigen Monaten häufen sich jedoch Meldungen
über Festnahmen und Abschiebungen aus dem Kirchenasyl. Jetzt traf es eine russische Familie in Bienenbüttel bei Uelzen.
Die Polizei und die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen habenam Sonntagabend (12. Mai) in Bienenbüttel bei Uelzen ein Kirchenasyl aufgelöst
und eine vierköpfige russische Familie nach Spanien abgeschoben. "Wir sind geschockt vom Vorgehen der Landesaufnahmebehörde", sagte Pastor Tobias Heyden von der evangelischen St.
Michaelisgemeinde am Dienstag. Die Festnahme der Familie an einem Sonntag und die Missachtung des Kirchenasyls "erschüttern und erschrecken uns zutiefst."
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen warf der rot-grünen Landesregierung vor, sie habe damit ein jahrzehntelanges Tabu gebrochen. Die
Polizeibeamten hätten sich per Durchsuchungsbeschluss Zutritt zur Gemeindehauswohnung verschafft, in der die Familie untergebracht gewesen sei, berichtete der Pastor.
Die beiden Männer hätten den Kriegsdienst für Russland verweigert. Alle vier sei noch in der Nacht nach Barcelona geflogen worden.
Zum ersten Mal seit Jahrzehnten habe das Land Niedersachsen damit ein Kirchenasyl durch den Einsatz der Polizei beendet und die Schutzsuchenden abgeschoben.
Nach Angaben des Flüchtlingsrates hatte es zuletzt 1998 einen Fall von Räumung eines Kirchenasyls mit anschließender Abschiebung
gegeben. Danach hätten alle Innenminister betont, dass auf Zwangsmaßnahmen gegen Personen im Kirchenasyl verzichtet werde. Im April dieses Jahres sei dennoch ein Kirchenasyl von den Behörden
aufgelöst worden. Die Abschiebung sei aber gescheitert. Politiker und die Ministerin Daniela Behrens (SPD) hätten versichert, es habe sich um ein Versehen gehandelt, erläuterte Geschäftsführer
Kai Weber dem Evangelischen Pressedienst (epd). Nach der jetzigen Aktion gehe er aber davon aus, dass nun bewusst eine neue, restriktive Richtung eingeschlagen werde.
Soll Härte symbolisiert werden?
Auch in anderen Bundesländern habe es in den zurückliegenden Monaten zum Teil spektakuläre Kirchenasylräumungen gegeben, sagte
Weber. Es solle offenbar vor allem Härte signalisiert werden. Das spiegele den Rechtsruck in der innenpolitischen Diskussion wider. "Statt den Rechtsextremen Paroli zu bieten, läuft die Politik
ihren Parolen hinterher."
In Bienenbüttel hielt sich das russische Ehepaar mit einem erwachsenen Sohn und einer 16-jährigen Tochter den Angaben zufolge auf
der Durchreise nach Spanien in Deutschland bei Verwandten auf, als Vater und Sohn einen Einberufungsbefehl erhielten. Die Familie habe sich nicht an dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine
beteiligen wollen und deshalb in Deutschland Asyl beantragt. Die Mutter sei aufgrund der psychischen Belastung schwer erkrankt und stationär behandelt worden. Dennoch sei der Asylantrag mit
Verweis auf das Dublin-Abkommen abgelehnt worden. Die Familie habe bereits ein spanisches Visum gehabt.
Daraufhin habe sich die Familie an den evangelischen Kirchenkreis gewandt, erläuterte Pastor Heyden. Dieser habe nach sorgfältiger
Prüfung das Kirchenasyl für sinnvoll erachtet. Die Ärzte der Mutter hätten von einer Abschiebung dringend abgeraten. Die Prognose zur Integration der Familie sei gut gewesen. Vater und Sohn
hätten Arbeitsangebote vorweisen können. Die Tochter habe das Lessing-Gymnasium Uelzens besucht. Das Kirchenasyl in Bienenbüttel sei auch mit der Konföderation Evangelischer Kirchen in
Niedersachsen abgesprochen gewesen.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche hat derzeit Kenntnis von 594 aktiven
Kirchenasylen mit mindestens 780 Personen, darunter etwa 130 Kinder.
Flüchtlingsbeauftragte kritisiert Behörden nach
Kirchenasyl-Bruch
Nach dem Bruch eines Kirchenasyls in Schwerin kritisiert die Vorstandsvorsitzende der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche,
Dietlind Jochims, die Behörden.
Die Vorstandsvorsitzende der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche, Dietlind Jochims, hat die deutschen Behörden nach dem Bruch eines Kirchenasyls in Schwerin kritisiert. Es sei ihr
unverständlich, wie die Behörden mit der betroffenen geflüchteten Familie aus Afghanistan umgegangen seien und bislang respektierte Schutzräume wie das Kirchenasylmissachtet
hätten, sagte die Pastorin, die auch Flüchtlingsbeauftragte der evangelischen Nordkirche ist, dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Die Polizei in Schwerin hatte wegen eines Amtshilfegesuchs der Kieler Ausländerbehörde am Mittwoch ein bestehendes Kirchenasyl in der
evangelischen Petrusgemeinde in Schwerin gebrochen, um zwei erwachsene Söhne einer sechsköpfigen afghanischen Familie nach Spanien abzuschieben. Die Abschiebung scheiterte, weil sowohl die Mutter
als auch einer der Söhne sich in einem psychischen Ausnahmezustand befanden. Bis auf die Mutter, die sich noch in einer Klinik befindet, hält sich die Familie weiter im Kirchenasyl der Gemeinde
auf.
Jochims: „Armutszeugnis für die Behörden“
Wie Jochims mitteilte, handelt es sich bei der Mutter um eine bekannte Frauenrechtlerin und Journalistin, die in ihrer Heimat nach der
Machtübernahme der Taliban massiv bedroht wurde. Über das Aufnahmeprogramm für Afghanistan des Bundesinnenministeriums und des Auswärtigen Amtes war der Familie zunächst eine Aufnahme in
Deutschland zugesichert worden. Die Visumserteilung verzögerte sich laut Jochims massiv. Da das Leben der Familie in Afghanistan zusehends gefährdet gewesen sei und sie dringend medizinische
Behandlung benötigt habe, floh sie in den Iran. Von dort aus sei die Familie mit einem spanischen Visum nach Europa gelangt. „Es ist ein Armutszeugnis für die Behörden, dass die Visa-Formalitäten
viel zu schleppend angesichts der Lebensgefahr für die Familie bearbeitet worden sind“, kritisierte Jochims.
Gemeinsame Pressemitteilung des Ökumenischen Netzwerkes Asyl in der Kirche in NRW und des Abschiebungsreportings NRW vom 13. Juli 2023
Am 10. Juli 2023 ist ein kurdisches Ehepaar aus dem Irak im Kirchenasyl in der Evangelischen Kirchengemeinde Lobberich/Hinsbeck (Stadt Nettetal, NRW) mit einem Hausdurchsuchungsbeschluss
durch die Ausländerbehörde der Stadt Viersen festgenommen worden. Beide schwer traumatisierte Personen sitzen nach Abbruch des Abschiebungsversuches aus medizinischen Gründen derzeit
in
Abschiebehaft und sollen nach Polen überstellt werden. In Polen waren sie bereits in einem geschlossenen Lager über einen längeren Zeitraum inhuman behandelt worden und stehen seitdem
unter massivem psychischem Druck.
Pfarrerin Elke Langer von der Evangelischen Kirchengemeinde Lobberich/Hinsbeck reagiert entschieden auf die Ereignisse von Montagmorgen: „Ich
bin erschüttert, wie die Ausländerbehörde der Stadt Viersen hier vorgegangen ist. Unsere Mitarbeiter:innen sind alle fassungslos. Wir haben das Kirchenasyl aus humanitären Gründen gewährt
– ein solcher repressiver Abschiebungsversuch zweier traumatisierter Menschen ist ein Skandal.“
Das Ökumenische Netzwerk Asyl in der Kirche in NRW und das Abschiebungsreporting NRW des Komitees für Grundrechte und Demokratie e.V. verurteilen entschieden das Vorgehen der
Ausländerbehörde der Stadt Viersen:
„Das seit Mai 2023 bestehende Kirchenasyl sollte grundlegende Rechte des kurdischen Ehepaars schützen, wie eine adäquate psychosoziale Unterstützung, medizinische Versorgung und eine
menschliche Unterbringung. Den Zugang hierzu hätten beide Personen nicht durch eine sogenannte Dublin-Überstellung nach Polen. In der Kirchengemeinde hatte das Ehepaar einen
stabilisierenden Schutzraum, um sich eine Perspektive aufbauen zu können. Dies ist durch den repressiven und massiv retraumatisierenden Abschiebungsversuch unmöglich geworden“, so
Benedikt Kern, Theologe und Mitarbeiter im Ökumenischen Netzwerk Asyl in der Kirche NRW, das das Kirchenasyl begleitet hat. „Mit
dem gewaltsamen Bruch des Kirchenasyls hat die Ausländerbehörde der Stadt Viersen eine rote Linie überschritten, hier wird die Erbarmungslosigkeit der aktuellen Migrationspolitik einmal
mehr deutlich. Wir fordern die sofortige Freilassung der beiden Geflüchteten aus der Abschiebehaft und einen Abschiebestopp nach Polen!“
Sebastian Rose vom Abschiebungsreporting NRW unterstreicht: „Es
ist offensichtlich, dass hier Abschiebungen um jeden Preis durchgeführt werden. Dies
kritisieren wir mit aller Entschiedenheit, da hier Ermessensspielräume offensichtlich nicht ausgeschöpft werden. In NRW darf es ein solches Vorgehen nicht geben und das Kirchenasyl muss
als ein wichtiger Akt der Humanität respektiert werden.“
Gewaltsame Räumungen von Kirchenasylen sind äußerst ungewöhnlich, da die Behörden diesen Schutzraum für Geflüchtete in Kirchengemeinden in der Regel respektieren. In NRW gibt es derzeit
rund 140 laufende Kirchenasyle. Im vergangenen Jahr konnten davon rund 98% mit einer Bleibeperspektive für die Betroffenen beendet werden.
Die Evangelische Kirche im Rheinland hatte am 13.07.2023 das Vorgehen der Ausländerbehörde Viersen bereits deutlich in einer Pressemitteilung kritisiert.
Kontakt:
Ökumenisches Netzwerk Asyl in der Kirche NRW Tom Brandt, Tel: 0176-43240783 und Mail: nrw (at) kirchenasyl.de
Das Ökumenische Netzwerk Asyl in der Kirche NRW mit Sitz in Köln, Münster und Bielefeld berät und unterstützt seit 1994 Geflüchtete mit drohender Abschiebung und Kirchengemeinden in
Fragen des Kirchenasyls.
Abschiebungsreporting NRW
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., Köln
Sebastian Rose
Telefon 0221 / 972 69 32 | Mobil 01575 / 40 35 862
E-Mail: rose (at) abschiebungsreporting.de
Pressemitteilung zum Freispruch im Kirchenasylverfahren
„Signalwirkung für die
Kirchenasylbewegung“
Bielefeld/Köln/Münster, den
28.04.2021
Bruder Abraham Sauer aus der Abtei Münsterschwarzach ist am 26. April 2021 vom Amtsgericht Kitzingen (Bayern) freigesprochen worden. Der Mönch war angeklagt worden,
weil er geflüchteten Menschen Kirchenasyl gewährt hatte, die Staatsanwaltschaft hatte die Verurteilung gefordert. Das „Ökumenisches Netzwerk Asyl in der Kirche in NRW e.V.“ begrüßt das Urteil als
wegweisend für die Kirchenasylbewegung, auch außerhalb Bayerns.
„Mit großer Freude haben wir die Entscheidung im ersten Verfahren aufgenommen, in dem sich ein Mönch für die Gewährung von Kirchenasyl vor einem bayerischen
Gericht verantworten musste,“ so Joachim Poggenklaas, evangelischer Pfarrer in Bielefeld und im Vorstand des „Ökumenischen Netzwerks Asyl in der Kirche in NRW“.
„Besonders hat uns gefreut, dass der Freispruch erfolgte, weil die Richterin anerkannt hat, dass es sich beim Kirchenasyl um einen Akt der Glaubens- und
Gewissensfreiheit handelt, der nicht kriminalisiert werden darf.“
„Dieses Urteil ist auch insofern bahnbrechend, weil es deutlich macht, dass es im Letzten nicht darum geht, dem Kirchenasyl einen eigenen Rechtsstatus zuzuweisen“,
so der Theologe Benedikt Kern, der für das „Ökumenische Netzwerk Asyl in der Kirche in NRW“ in der Beratung von Kirchenasylen tätig ist.
„Das Kirchenasyl beruft sich vielmehr auf Grund- und Menschenrechte, weil es die Menschenwürde von Geflüchteten schützt. Der Freispruch von Bruder Abraham Sauer
sollte somit auch Signalwirkung für die Kirchenasylbewegung haben: wir lassen uns nicht von staatlichen Behörden vorschreiben, welchen Kriterien ein Kirchenasyl genügen muss, um anerkannt zu
werden. Wir können uns mutig auf die eigene Glaubens- und Gewissensfreiheit berufen.“
Derzeit befinden sich 91 Menschen in NRW in 60
Kirchenasylen, davon sind 55 Dublin-Fälle. 70 Kirchenasyle wurden in den letzten 12 Monaten beendet, davon 70 (100%) erfolgreich.
Das „Ökumenische Netzwerk Asyl in der Kirche in NRW
e.V.“ berät und unterstützt seit 1994 von Abschiebung betroffene Geflüchtete und Kirchengemeinden in Fragen des Kirchenasyls. Es gibt Geschäftsstellen in Bielefeld, Köln und
Münster.
Kontakt für Pressestatements:Mobil:0163-7438704
Email:nrw@kirchenasyl.de -- Anschrift: Haus der ev. Kirche,Kartäusergasse 9-11, 50678 Köln
Die Kirche in Rotenburg, in der eine Romafamilie 2010 Zuflucht gesucht hat, Bild: privat
„Immer wieder kommt es vor, dass Kirchengemeinden Flüchtlinge und Asylbewerber vorübergehend in kirchlichen Räumen aufnehmen, um sie vor einer drohenden Abschiebung zu schützen. Nach
Ausschöpfung aller Rechtsmittel durch die Betroffenen sehen manche in der Gewährung eines solchen 'Kirchenasyls' häufig die letzte Möglichkeit, um in einem konkreten Einzelfall
Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden und eine drohende Gefahr für Leib und Leben im Rückkehrland abzuwenden.“ So heißt es in der vom Kirchenamt der EKD und dem Sekretariat der
Deutschen Bischofskonferenz mit der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) 1998 herausgegebenen ‘Gemeinsamen Wort der Kirchen’ zu den Herausforderungen durch Migration und Flucht.
Dieses gemeinsame Wort ist überschrieben: „... und der Fremdling in deinen Toren.“ Dies ist ein Zitat aus dem Alten Testament. Es weist auf eine lange theologische Tradition der
Auseinandersetzung mit dem Schicksal und dem Recht des Fremden hin.
„Kirchenasyl“ im heutigen Sinn gibt es etwa seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Die, die Kirchenasyl gewähren, sehen darunter eine kirchliche Nothilfe, weil sich in den
für die Betroffenen die Einsicht durchgesetzt hat, es sei „Gefahr im Verzug“. Kirchenasyl ist höchst umstritten und immer mit Konflikten beladen, da es gültiger Rechtslage widerspricht.
Das Stichwort: Kirchenasyl
Das Wort „Asyl“ leitet sich vom griechischen „asylon“ ab und bedeutet Zufluchtsstätte. Solche Orte boten Verfolgten ursprünglich Schutz vor Rache oder Selbstjustiz und ermöglichten
eine geordnete Rechtssprechung. Bereits im Alten Testament der Bibel ist von ganzen Städten als Asylorten die Rede.
Im christlichen Rom konnten die Bischöfe zugunsten von Angeklagten und Verurteilten bei dem Kaiser und den Gerichten um Straferlass oder Strafmilderung bitten. Um eine solche bischöfliche
Fürbitte zu erreichen, flüchteten sich Verfolgte in die Kirchen. Die Heiligkeit dieses Raumes wurde auch zunehmend von Nicht-Christen respektiert und anerkannt. Wer in den geschützten
Kirchenraum eindrang, um gewaltsam einen Flüchtling zu ergreifen, beging ein Sakrileg.
Seit den 80er Jahren suchen verstärkt Flüchtlinge den Schutz kirchlicher Räume, um einer Abschiebung zu entgehen. Sie werden in der Regel von Unterstützern aus den Gemeinden versorgt. Das
Kirchenasyl ist dabei kein rechtsfreier Raum. Es beruht auf der oft stillschweigenden Übereinkunft, dass die Polizei aus Respekt vor sakralen Räumen in der Regel nicht in das Kirchenasyl
eindringt. In einigen Fällen sind dennoch Kirchenasyle geräumt worden.
Bundesamt entschärft Regeln für Kirchenasyl wieder
15.1.2021
Die Innenminister hatten die Hürden für Kirchenasyle so erhöht, dass Hilfe für Härtefälle fast unmöglich wurde. Nach Gerichtsurteilen lockert das Bundesamt die
Regeln nun wieder. Die Arbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“ reagiert erleichtert.Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) rückt von der zuletzt restriktiven Praxis gegenüber
Kirchenasylen wieder ab. Wie die Behörde am Donnerstag in Nürnberg mitteilte, werden Schutzsuchende im Kirchenasyl nicht länger als „flüchtig“ angesehen, wenn ihr Aufenthaltsort bekannt
ist. Das hat zur Folge, dass die sogenannte Überstellungsfrist in der Regel nicht mehr auf 18 Monate ausgeweitet wird. Diese Ausweitung hatte Kirchenasyle nahezu
unmöglich gemacht und wurde von Gerichten infrage gestellt.
Die Verlängerung der Frist ging auf einen Beschluss der Innenminister von Bund und Ländern aus dem Jahr 2018 zurück. Dabei ging es um Dublin-Fälle im Kirchenasyl,
also Schutzsuchende, für deren Aufnahme und Verfahren eigentlich ein anderer EU-Staat zuständig wäre. Wird eine Überstellung innerhalb eines halben Jahres nicht realisiert, geht die Zuständigkeit
automatisch zu den deutschen Behörden über. Um das „Aussitzen“ der Frist zu erschweren, entschieden sich die Innenminister für die Verlängerung.
Rechtsprechung wird umgesetzt
Grundlage dafür war eine Regelung in der Dublin-Verordnung, die eine Frist-Verlängerung erlaubt, wenn der Asylbewerber als „flüchtig“
gilt. Nach Aussage der Kirchen wurde die Fristverlängerung für Kirchenasyle nach dem Beschluss der Innenminister zum Regelfall. Im vergangenen Sommer äußerte das Bundesverwaltungsgericht aber
Zweifel an der Praxis, da der Aufenthaltsort der Schutzsuchenden im Kirchenasyl in der Regel bekannt sei. Diesen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts sowie weitere obergerichtliche
Rechtsprechung würden nun umgesetzt, sagte ein Sprecher des Bamf. Er betonte aber auch, dass ein Kirchenasyl zu verlassen sei, wenn die Behörde entscheidet, dass kein besonderer, individueller
Härtefall vorliege. „Die Einhaltung dieser Grundregeln ist essenziell, um die Akzeptanz des Kirchenasyls bei Behörden, Gerichten und Öffentlichkeit aufrechterhalten zu können und weiter zu
stärken“, sagte er.
„Asyl in der Kirche“ begrüßt Lockerung
In einem Merkblatt vom Bundesamt, das dem „Evangelischen Pressedienst“ vorliegt, heißt es, dass die Fristausweitung nun nur noch infrage kommt, wenn eine
Ausländerbehörde einen Schutzsuchenden als „unbekannt verzogen“ meldet, bevor die Kirchenasylmeldung beim Bundesamt eingeht, oder wenn eine Kirchengemeinde den konkreten Aufenthaltsort des
Asylbewerbers nicht mitteilt. Die Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“ begrüßte die Ankündigung des Bundesamts. „Wir nehmen diesen Schritt erleichtert zur Kenntnis. Er ist lange
überfällig“, erklärte die Vorsitzende Dietlind Jochims.
Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gingen nach dessen Angaben im vergangenen Jahr 355 Kirchenasylmeldungen für 506
Personen ein. Einen Höchststand erreichten Kirchenasyle im Jahr 2016 im Zuge der großen Fluchtbewegung. In dem Jahr suchten nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft „Kirche und Asyl“
mehr als 1.000 Menschen, deren Asylgesuch abgelehnt worden war, Schutz in Gemeinden. Kirchen gewähren in Härtefällen abgelehnten Asylbewerbern Schutz mit dem Anliegen, dass die Behörden ihre
Entscheidung noch einmal überdenken. (epd/mig)
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Pressemitteilung des Ökumenischen Netzwerkes Asyl in der Kirche in NRW vom 14.01.2021
Rücknahme der Restriktionen gegen das Kirchenasyl kann nur der erste Schritt sein
Köln/Münster/Bielefeld.Das Ökumenische Netzwerk Asyl in der Kirche in NRW zeigt sich
erleichtert über die gestrige Rücknahme der Restriktionen gegen das Kirchenasyl durch das BAMF, wonach nun Abschiebefristen im Kirchenasyl nicht mehr von sechs auf 18 Monate
verlängert werden. Damit sind die 2018 von der Innenministerkonferenz eingeführten Verschärfungen, mit denen der Staat die Kirchenasylpraxis einschränken wollte, nicht länger
gültig.
„Wirunterstreichen, dass trotz dieser verschärften Regelungen in den letzten Jahren Kirchengemeinden und
Ordensgemeinschaften selbstbestimmt und ihrem Gewissen verpflichtet die Entscheidung für das Kirchenasyl getroffen haben. Dies wird auch weiterhin wichtig sein“, so Evelyn Meinhard
aus dem Vorstand des Netzwerkes. „Die Ursache dieser Sanktionen liegt jedoch bereits in dem 2015 zwischen den Kirchen und dem BAMF eingegangenen Deal, der dem Kirchenasyl einen
quasi-rechtlichen Rahmen geben sollte. Dadurch wurde diese Menschenrechtspraxis stark eingehegt und bürokratisiert.“
Das BAMF
akzeptiert mittlerweile so gut wie keine Härtefallgründe, die ein Kirchenasyl rechtfertigen könnten, was sich an der Ablehnung der Härtefalldossiers in 98% der Fälle zeigt, auch wenn
diese Härtefälle z.B. medizinisch bestens belegt sind.Trotzdem können nahezualle Kirchenasyle erfolgreich abgeschlossen werden.
„Bei der
Freude über die gestrige Rücknahme der Sanktionen darf aber nicht vergessen werden, dass nach wie vor das Härtefalldossier-Verfahren für die Betroffenen und die Kirchengemeinden eine
Farce ist: Die Gemeinden und die Betroffenen bemühen sich Härtefälle durch Gutachten etc. zu belegen und betreiben dazu einen großen Aufwand. Das BAMF ist jedoch in keiner Weise
bereit, Härtefälle ernsthaft zu prüfen und als solche anzuerkennen. Das ganze Verfahren muss dringend wieder abgeschafft werden“, so Benedikt Kern, Theologe und Mitarbeiter des
Netzwerkes. „Wir unterstreichen deshalb die Wichtigkeit der autonomen Entscheidung von Gemeinden dazu, Kirchenasyl zu gewähren. Diese christliche Solidaritätspraxis gehört zum
Selbstverständnis der Kirchengemeinden und ist aufgrund der trotz Corona-Krise laufenden Abschiebepraxisgeradedringend
nötig.“
Wir weisen
ausdrücklich auch auf die Pressemitteilung der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche vom 13.01.2021 hin:
DasÖkumenischen Netzwerkes Asyl in der Kirche in NRW unterstützt, organisiert und berät seit 1994 in
NRW von Abschiebung Betroffene und Kirchengemeinden und hat Geschäftsstellen in Köln, Münster und Bielefeld.
Wichtiges Urteil mit Auswirkungen auf das Kirchenasyl!
Das BVerwG hat nunmehr entschieden, dass die Ausschreibung von Asylsuchenden als "flüchtig" aufgrund von Kirchenasyl nicht rechtmäßig ist. Eine Verlängerung der Überstellungsfrist auf 18 Monate
dürfte damit endgültig vom Tisch sein. Hier die Entscheidung:
Im Jahr 2018 beschlossen die deutschen Innenminister eine Änderung im Umgang mit offenen Kirchenasylen. Diese können seither bis zu 18 Monate dauern, was Gastgeber und
Geflüchtete stark belastet. Fällt dieser Entscheidung nun doch wieder?
Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts stammt bereits vom 8. Juni, hat aber bisher keine mediale Berichterstattung nach sich gezogen. Die Leipziger Richter wiesen
eine Beschwerde des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) ab. Das Nürnberger Amt hatte Revision gegen ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom
12. Februar beantragt und kam damit nicht durch.
Der Beschluss mit dem Aktenzeichen BVerwG 1 B 19.20 ist kaum anderthalb Seiten lang, hat es aber in sich, denn es geht um die korrekte Anwendung der Dublin
III-Verordnung der EU von 2013. Diese regelt, welcher Mitgliedstaat für Asylverfahren zuständig ist.
Entscheidung sorgt für Verdruss
Grundsätzlich ist dies jenes Land, in dem ein Flüchtling erstmals EU-Gebiet betritt. Wird im Zuge eines nationalen Verfahrens festgestellt, dass der Asylbewerber über
einen anderen Staat in die EU kam, wird dieser gebeten, die Person zu übernehmen. In der Praxis funktioniert das aber oft nicht. Daher gibt es die Möglichkeit, dass
ein Staat von dieser Grundregel abweichend selbst in das Asylverfahren eintreten kann. Dies geschieht immer dann, wenn die Überstellung innerhalb von sechs Monaten
nicht erfolgt ist.
Die weitaus meisten Kirchenasyle in Deutschland zielen darauf ab, dass das Verfahren in der Bundesrepublik durchgeführt wird, also eine drohende Abschiebung in andere
EU-Staaten wie Italien oder Griechenland abgewendet wird. Daher dauerten sie bisher höchstens ein halbes Jahr. 2018 jedoch entschied die deutsche
Innenministerkonferenz, den Selbsteintritt bis auf 18 Monate auszudehnen. Mit dieser Linie wichen die Minister von einer mit den Kirchen 2015 getroffenen Vereinbarung
ab, was seither bei Kirchenasyl-Aktivisten für anhaltenden Verdruss sorgt.
Innenminister und Bamf beriefen sich bisher auf eine spezielle Auslegung des Artikels 29 der aktuellen Dublin-Verordung. Dieser besagt im zweiten Absatz, unter welchen
Umständen der Selbsteintritt eines Staates ins Asylverfahren auf bis zu 18 Monate hinausgezögert werden kann, nämlich "wenn die betreffende Person flüchtig ist". Die
deutsche Bürokratie betrachtete dementsprechend im Kirchenasyl Untergebrachte jahrelang als "flüchtig", auch wenn ihr dabei kaum ein Gericht folgte.
Diese Auslegung hat das BVerwG nun im Einklang mit der Rechtsprechung der meisten deutschen Oberverwaltungsgerichte und des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg
(EUGH) in letzter Instanz verneint. Als "flüchtig" könne nur eine Person betrachtet werden, die ihre Wohnung verlässt, ohne die zuständigen Behörden darüber zu
informieren.
"Eigentlich müssten die Kirchen jubeln"
Eine Flucht in diesem Sinne müsse "kausal für die Nichtdurchführbarkeit der Überstellung sein". Das sei aber nicht der Fall, wenn im offenen Kirchenasyl Behörden die
Adresse des Asylbewerbers bekannt sei. Ein solches Kirchenasyl hindere den Staat "weder rechtlich noch tatsächlich" an einer Abschiebung. Wenn nun Behörden auf eine
Überstellung von Personen im Kirchenasyl verzichteten, werfe das keine grundsätzlichen Rechtsfragen auf, die in einer Revision geklärt werden müssten.
"Eigentlich müssten die Kirchen jubeln", sagt die Münchner Rechtsanwältin Gisela Seidler. "Der Ober sticht den Unter", fügt die Juristin hinzu und meint damit, dass
anderslautende Urteile nachgeordneter Instanzen nun nicht mehr vom Bamf herangezogen werden könnten, um einen Selbsteintritt erst nach 18 Monaten zu begründen.
Ein halbes Jahr "und keinen Tag länger" dürften vereinbarungsgemäß den Behörden gemeldete Kirchenasyle nunmehr maximal noch dauern. Auch andere kirchennahe
Rechtsbeistände sehen das so.
Das Bamf wollte sich auf Nachfrage dieser Interpretation nicht anschließen, zumindest nicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Die Auswirkungen der Leipziger Entscheidung
und etwaiger Handlungsbedarf aufseiten des Bundes würden vom Bundesinnenministerium und dem Bundesamt noch geprüft, erklärte ein Sprecher.
Das BMI moniert, dass nur 10% der Kirchen das Kirchenasyl nach
drei Tagen beendeten, wenn das BMI das von den Kirchengemeinden
eingereichte "Härtefalldossier" für nicht härtefallbegründend hält (was die
Regel ist). Die Praxis des BAMF, in entsprechenden Fällen von
einem "Untertauchen" auszugehen und bei Dublinfällen die
Überstellungsfrist von 6 auf 18 Monate auszudehnen, wird allerdings von den
meisten Verwaltungsgerichten als rechtswidrig angesehen,
siehe Klick: https://www.asyl.net/view/detail/News/weitere-verschaerfungen-beim-kirchenasyl-und-neue-obergerichtliche-entscheidungen/
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LANDESSOZIALGERICHT HESSEN
Sozialhilfe auch für Flüchtlinge im Kirchenasyl
Wer sich in Kirchenasyl begibt, handelt nicht rechtsmissbräuchlich und hat einen Anspruch auf Sozialhilfe. Das hat das hessische Landessozialgericht im Fall eines Äthiopiers entschieden.
Ein Asylbewerber, der sich wegen einer drohenden Abschiebung ins Kirchenasyl begibt, begeht dadurch nach einer Gerichtsentscheidung keinen Rechtsmissbrauch. Er
hat auch für diese Zeit seines Aufenthalts in Deutschland Anspruch auf Sozialhilfeleistungen. Das hat das hessische Landessozialgericht (LSG) in Darmstadt nach einem am Montag
veröffentlichten Beschluss entschieden (Az.: L 4 AY 5/20 B ER). Nach Angaben des Gerichts war der Äthiopier 2015 nach Deutschland gekommen. Sein Asylantrag wurde jedoch abgelehnt und die
Abschiebung nach Italien angeordnet. Im Juli 2016 erhielt er Asyl bei einer Frankfurter Kirchengemeinde, die die Ausländerbehörde über den Aufenthaltsort des Äthiopiers unterrichtete. Im
Februar 2017 erhielt er eine Aufenthaltsgestattung und Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Der Äthiopier beantragte im Oktober 2019 Sozialhilfeleistungen und begründete seinen Antrag damit, dass er sich bereits seit mehr als 18 Monaten ohne
wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalte. Die Stadt Frankfurt am Main lehnte den Antrag jedoch ab, da das Kirchenasyl als rechtsmissbräuchliche Beeinflussung seiner Aufenthaltsdauer
zu werten sei. Sozialhilfeleistungen seien daher ausgeschlossen. Dagegen legte der Mann Widerspruch ein.
Das Landessozialgericht wies die Stadt nun an, dem Mann Sozialhilfeleistungen zu gewähren. Zur Begründung erklärten die Richter, dass das Kirchenasyl von den
Behörden ebenso wie von der Bundesregierung respektiert werde und in der Regel keine Abschiebung während des Kirchenasyls stattfinde.
Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten liege nicht vor, weil die Abschiebung weder rechtlich noch tatsächlich unmöglich sei, wenn die Ausländerbehörde – wie im
Fall des Äthiopiers – zu jeder Zeit der Dauer des Kirchenasyls den Aufenthaltsort des Ausländers kenne. Dies sei nicht mit einem Untertauchen des Ausreisepflichtigen gleichzusetzen. Verzichte
der Staat bewusst darauf, die Ausreisepflicht durchzusetzen, könne das Vollzugsdefizit nicht dem Ausländer angelastet werden. (epd/mig)
Das Kirchenasyl, eine Kraftprobe von Gemeinden zugunsten humanitärer Härtefälle, hat immer seltener Aussicht auf Erfolg. Gerade einmal fünf Fälle erkannte das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge in diesem Jahr an, fast 300 wurden abgelehnt.
Die Aussichten für Flüchtlinge, nach einer Aufnahme ins Kirchenasyl dauerhaft in Deutschland bleiben zu dürfen, sind deutlich gesunken. In gerade einmal fünf Fällen
hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in diesem Jahr bis Ende August die Zuständigkeit Deutschlands nachträglich anerkannt, wie aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine
Anfrage der Linksfraktion hervorgeht. In 292 Fällen blieb es bei einer Ablehnung der Behörden. Das Kirchenasyl als Korrektiv werde de facto verhindert, kritisierte die Innenpolitikerin Ulla
Jelpke (Linke). Der Rechtsstaat zeige damit Schwäche, nicht Stärke, kommentierte sie die Statistik.Dem Dokument zufolge, über das zuerst die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet hatte und das auch dem
„Evangelischen Pressedienst“ vorliegt, wurden in diesem Jahr bis Ende August 441 Kirchenasyle gemeldet. In 304 Fällen davon wurden Dossiers eingereicht. Nach einer Absprache zwischen Kirche und
Staat ist dies Voraussetzung dafür, dass das Bundesamt die Fälle noch einmal prüft, bei denen Kirchengemeinden humanitäre Härten geltend machen wollen.
In den Jahren 2015/2016 habe die Erfolgsquote beim Kirchenasyl noch bei rund 80 Prozent gelegen, erklärte die Linke. Sie sei nun auf gerade einmal zwei Prozent
gesunken. Es falle auf, dass nach der Amtsübernahme durch Behörden-Chef Hans-Eckhard Sommer im Bundesamt bei Dublin-Verfahren „ein schärferer Wind weht“, erklärte Jelpke. Sommer hatte im
vergangenen Jahr die Führung des Bundesamts übernommen. Im Sommer dieses Jahres erklärte er bei einer Veranstaltung von Kirchen und Flüchtlingsorganisationen, seine Behörde erkenne Härtefälle
inzwischen selbst. Damit erklärte er den Rückgang der Erfolgsquote von Kirchenasylfällen.
18 Monate in der Kirche
Bei der Mehrheit dieser Fälle geht es um sogenannte Dublin-Verfahren, in denen ein anderer EU-Mitgliedstaat zuständig ist. Kirchengemeinden wollen in diesen Fällen
verhindern, dass die Betroffenen in ein anderes EU-Land abgeschoben werden. Laut Bundesinnenministerium gab es Ende Juli insgesamt 30.201 Fälle in Deutschland, in denen ein anderer Mitgliedstaat
für das Verfahren zuständig wäre. In mehr als 13.000 Fällen davon waren die Betroffenen ausreisepflichtig.
Will eine Kirchengemeinde die Abschiebung auch nach einer Ablehnung des Bundesamtes verhindern, muss der Flüchtling 18 Monate in den Kirchenräumen leben, bis die
Frist zur Abschiebung in einen EU-Staat abgelaufen ist. Die Frist wurde im vergangenen Jahr von damals sechs Monaten erhöht. Für die Gemeinden ist das Kirchenasyl damit zu einem noch größeren
Kraftakt geworden. Nicht selten kümmern sich Ehrenamtliche komplett um die Versorgung von Einzelpersonen oder Familien.
Jelpke: „Konfrontationskurs“
Das Innenministerium betont laut Zeitungsbericht, man prüfe mögliche humanitäre Härtefälle einheitlich, egal wer das beantrage. In einem Großteil der
Kirchenasyl-Fälle hätten bereits Gerichte den Negativbescheid des Bundesamtes bestätigt. Wenn Gemeinden ihr Kirchenasyl allein auf Argumente stützten, die bereits von einem Gericht geprüft seien,
bestehe das Bundesamt in der Regel auf einer Ausreise.
Jelpke sprach dagegen von einem „Konfrontationskurs“ des Bundesamtes gegen die Kirchen, Innenminister Horst Seehofer (CSU) müsse ihn beenden. „Die Kirchengemeinden
machen es sich gewiss nicht einfach und prüfen Kirchenasyl-Fälle sehr gründlich“, sagte sie. (epd/mig)
Bayerischer Pfarrer steht wegen Gewährung von Kirchenasyl vor Gericht
Sonthofen: Ein evangelischer Pfarrer muss sich heute vor Gericht verantworten, weil er Kirchenasyl gewährt hat. Die Justiz wirft dem Theologen "Beihilfe zum
unerlaubten Aufenthalt" vor. Der Immenstädter Pfarrer hatte mit seiner Kirchengemeinde einen abgelehnten Asylbewerber aus Afghanistan mehr als ein Jahr lang im Kirchenasyl beherbergt. Dafür
erhielt er einen Strafbefehl über 4.000 Euro, gegen den er Einspruch einlegte. Erstmals wurde damit in Bayern ein Pfarrer wegen Kirchenasyls rechtlich belangt. Die bayerische evangelische
Landeskirche erhofft sich eine grundsätzliche Klärung, ob Kirchenasyl strafbar ist.
Rückgang der Anerkennungen im Kirchenasyl vom Bamf gewollt
Die evangelische Kirche wirft dem Bamf vor, das Kirchenasyl systematisch zurückzudrängen. Seit dem Wechsel an der Bamf-Spitze gehen kaum noch Fälle positiv für die
Betroffenen aus. Im Gespräch erklärt der Bevollmächtigte der Evangelischen Kirche in Berlin, Martin Dutzmann, warum die Gemeinden dennoch nicht aufgeben werden.
In den ersten vier Monaten dieses Jahres hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) nur zwei Kirchenasyle als Härtefälle anerkannt, 145 dagegen
abgelehnt. Geben Kirchengemeinden Menschen zunehmend Schutz, die das gar nicht brauchen?
Martin Dutzmann: Nein, das sehen wir anders. Die Kirchengemeinden prüfen sehr sorgfältig die Fälle, bevor sie ein Kirchenasyl gewähren. Wenn sie nicht davon
überzeugt wären, dass eine humanitäre Härte gegeben ist, würden sie sich die Arbeit nicht machen, die mit dem Kirchenasyl verbunden ist. Die Ursache für den Rückgang der sogenannten
Selbsteintritte, also dass Deutschland sich für die Fälle selbst zuständig erklärt, liegt beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Das ist dort so gewollt.
Bamf-Präsident Hans-Eckhard Sommer bestreitet das. Er sagt, durch die Steigerung der Qualität der Asylverfahren erkenne die Behörde Härtefälle inzwischen selbst.
Haben Sie daran Zweifel?
Martin Dutzmann: Ich glaube schon, dass das Bundesamt mehr Härtefälle identifiziert als früher. Gleichwohl bleiben aber Härtefälle übrig, die Kirchengemeinden
erkennen, weil sie die Menschen und deren Geschichten kennengelernt haben. Dieser Rest bleibt – und um den geht es.
Haben Sie ein Beispiel?
Martin Dutzmann: Geschildert wurde mir zum Beispiel die Situation einer Frau, die über Libyen nach Italien kam. In Libyen wurde sie bereits Opfer von
Menschenhandel, wurde zwangsprostituiert. In Italien wurde sie ebenfalls zur Prostitution gezwungen und ist mit HIV infiziert worden. Der Situation in Italien ist sie entkommen, indem sie nach
Deutschland weitergeflohen ist. Nach der Dublin-Verordnung müsste sie zurück nach Italien, wovor eine deutsche Kirchengemeinde sie bewahren will, denn ihre Zuhälter haben sie schon einmal in
Italien gefunden. Das Bundesamt aber sagt: Die Rückführung ist möglich, in Italien gibt es ausreichende medizinische Versorgung und im Übrigen könne sie dort ja in ein Frauenhaus gehen. Das ist
aus unserer Sicht keine angemessene Reaktion.
Früher haben Kirchengemeinden solche Fälle quasi ausgesessen, weil nach sechs Monaten ohnehin die Frist für die Überstellung ablief. Inzwischen wurde sie auf 18
Monate erhöht. Machen die Kirchengemeinden das so weiter?
Martin Dutzmann: Es wird für alle schwerer. Für die Kirchengemeinden und ganz besonders für die Menschen, die im Kirchenasyl leben und in ihrer
Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind. Die Frustration unter denen, die sich in den Gemeinden für geflüchtete Menschen einsetzen, ist groß.
Ist denn die Zahl der Kirchenasyle bereits zurückgegangen?
Martin Dutzmann: 2018 gab es 1.246 Dublin-Fälle im Kirchenasyl, in den ersten vier Monaten 2019 bislang 375. Das bewegt sich also auf gleichem Niveau. Einen
Knick gab es im August 2018, als die Fristverlängerung wirksam wurde. Eines ist aber klar: Die Kirchengemeinden werden weiter Kirchenasyl gewähren. Dort, wo sie die Not von Menschen sehen, werden
sie auch eingreifen. Das tun sie aus Gründen ihres Glaubens und davon wird sie niemand abhalten, auch keine 18-Monats-Frist.
Wie geht es jetzt weiter?
Martin Dutzmann: Wir hatten wiederholt Gespräche mit dem Bamf-Präsidenten Hans-Eckhard Sommer und auch mit Bundesinnenminister Horst Seehofer. Dabei haben wir
deutlich gemacht, dass wir die Entwicklung mit großer Sorge sehen. Das Kirchenasyl wird gebraucht. Eine Gemeinde, die einen Menschen begleitet, erkennt vielleicht eine humanitäre Notlage, die der
Staat nicht sieht. Insofern ist und bleibt das Kirchenasyl ein auch für den Staat am Ende gutes, ergänzendes Element.
Und mit dieser Sicht beißen Sie beim Gegenüber auf Granit?
LG Bad Kreuznach: Keine Durchsuchungsbeschlüsse gegen Pfarrer wegen Kirchenasyl
Das Landgericht Bad Kreuznach hat in den Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach gegen fünf
Pfarrerinnen und Pfarrer im Rhein-Hunsrück-Kreis wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt im Zusammenhang mit der Gewährung von "Kirchenasyl" auf die Beschwerden der Beschuldigten die
Durchsuchungsbeschlüsse des Amtsgerichts Bad Kreuznach aufgehoben. Damit weicht das LG von der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts München ab, das die Gewährung von Kirchenasyl durch
Kirchenvorstände und andere Pfarreiverantwortliche als tatbestandsmäßig und rechtswidrig begangene Beihilfehandlung bezeichnet hatte.
_______________________________________________ . 18. April 2019 ____________________________________________________________
VERWALTUNGSGERICHT TRIER
Flüchtlinge im Kirchenasyl gelten nicht als „flüchtig“
Asylbewerber im Kirchenasyl sind nicht „untergetaucht“ und dürfen von Behörden nicht so behandelt werden. Das hat das Verwaltungsgericht Trier im Fall von sechs
Sudanesen entschieden. Sie wehrten sich gegen ihre Abschiebung nach Italien.
18. Oktober 2018
Asylbewerber im Kirchenasyl dürfen
nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Trier von den Behörden rechtlich nicht so eingestuft werden, als seien sie untergetaucht. Das Gericht gab in einer am Mittwoch
veröffentlichten Entscheidung den Eilanträgen von sechs Sudanesen statt, die sich gegen ihre Abschiebung nach Italien
gewehrt hatten (AZ: 7 L 5184 /18.TR – u. a.). Zuvor war bereits bekanntgeworden, dass die für Mittwoch geplanten ersten Rückführungen im buchstäblich letzten Moment gestoppt werden konnten.
Um das Kirchenasyl für ursprünglich neun sudanesische Flüchtlinge im Rhein-Hunsrück-Kreis hatte es zuvor einen monatelangen Konflikt gegeben.Die Asylbewerber waren über Italien nach Deutschland gelangt. Nach geltenden EU-Bestimmungen
wären für ihr Asylverfahren demnach die italienischen Behörden zuständig. Wegen der desolaten Versorgungslage für Flüchtlinge in dem Land hatten mehrere Kirchengemeinden im Hunsrück daraufhin
Kirchenasyl gewährt.
Gewöhnlich übernimmt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Fälle, wenn es nicht gelingt, die Flüchtlinge innerhalb von sechs Monaten wieder in den zuständigen Staat
zurückzubringen. Bei den Sudanesen war die Frist von sechs auf 18 Monate verlängert worden. Zur Begründung hatte es geheißen, die Männer seien auf eine Aufforderung hin nicht zu einem
Rückführungstermin erschienen und deshalb „flüchtig“.
Aufenthaltsort war bekannt
Diese Auffassung wurde von den Trierer Richtern nun verworfen. Sowohl dem BAMF als auch der Ausländerbehörde des Rhein-Hunsrück-Kreises sei der Aufenthaltsort bekannt gewesen. Daher sei es
unzulässig, die sogenannte Rücküberstellungsfrist zu verlängern. Bei einem der Kläger hatte das Bundesamt die Fristverlängerung in der Zwischenzeit sogar schon selbst zurückgenommen.